Communitys brauchen exzellenten Content und exzellenter Content basiert auf brillantem Storytelling. Jeder Community Manager, auch wenn er seinen Content nicht selbst erstellt, benötigt weitreichende Kenntnisse über Storytelling. Dadurch kann er sicherstellen, dass der Content, den er in seiner Community präsentiert, bei den Mitgliedern auch wirklich Begeisterung erweckt.
Dialog ist das Lebenselixier jeder Community. Doch es käme nur wenig Dialog zustande, würde er nicht durch den Katalysator Content angestoßen. Content is King, jeder kennt diesen Spruch, der gerade in Communitys der entscheidende Faktor ihres Standings ist.
Das macht die Content-Strategie zu einem Kernelement der Social-Media-Strategie. Die zentrale Rolle dabei spielt die Art und Weise, wie Inhalte und die darin enthaltenen Botschaften ans Publikum gebracht werden. Storytelling ist der Schlüssel für wirkungsvollen Content, der Interaktion triggert und damit Reichweite aufbaut.
Effizientes, traffic-anregendes Storytelling ist Profisache. In den USA ist Digital Storytelling ein Studienfach, und für den Beruf hat sich die Bezeichnung Story-Architekt etabliert. Auch Community Manager mit professionellem Anspruch brauchen Kenntnisse über die Techniken, Funktionsweisen und Ziele von Storytelling.
Storytelling: eine Marketing-Technik
Storytelling ist ein vielschichtiger Begriff, der mit dem Aufkommen des Web 2.0 eine wahre Renaissance erlebt hat. Klären wir zunächst die Begrifflichkeit, indem wir den Online-Duden zu Rate ziehen. Die lexikalische Definition lautet:
1. das (als Kulturtechnik und -tradition
verstandene) Erzählen von neuen oder überlieferten Geschichten
2a. Marketingmethode, bei der (authentische) metaphorische Geschichten über
ein Produkt oder ein Unternehmen (und dessen Mitarbeiter) eine persönlichere
Beziehung zum potenziellen Kunden herstellen sollen
2b. (Kommunikations)methode in der Unternehmensberatung.
Für das Community Management ist Definition 2a naheliegend: Geschichten, die Kundenbeziehungen herstellen und pflegen sollen, machen einen Großteil des Content-Angebots in den meisten Communitys aus.
Als Marketing-Technik ist Storytelling ein Mittel zur Aufbereitung und Präsentation der Message von Marken, Produkten oder Unternehmen. In dieser Funktion wurde es auch schon vor dem Internet eingesetzt, in TV, Printmedien oder Radio. Von daher sind Storys, die im Rahmen von Community-Content präsentiert werden, oft Teil einer Konzeption, die schon seit langer Zeit Basis der Strategie für mediale Inhalte ist.
Storytelling im Web 2.0
Die technischen Möglichkeiten des Web 2.0 haben die Verbreitung von Content auf ein ungeahntes Level gehoben. Die Folge: die User haben einen offenbar unstillbaren Hunger nach packenden, emotionalen und inspirierenden Storys entwickelt.
Das ist der Ansatzpunkt für die Marketing-Strategen. Es herrscht Übereinstimmung, dass es nichts Wirkungsvolleres gibt als Storys, die nach den Regeln des Storytellings produziert sind, um Image und Unique Selling Points eines Brands in Szene zu setzen.
Dramaturgie von Storytelling
Storytelling muss die Rezipienten auf einer emotionalen Ebene ansprechen: Wünsche, Hoffnungen, Träume, Probleme oder Ängste sollen in einer guten Story aufscheinen. Wenn es Berührungspunkte gibt, kommt es zu einem Prozess der Identifikation.
Erkennt der Rezipient sich im Helden oder in seiner Problemlage wieder, fesselt ihn das so, dass die Story seine volle Aufmerksamkeit bekommt. Damit ist der Kampf um das wichtigste Gut im Internet gewonnen.
Bei diesem Kampf um Aufmerksamkeit kommt eine mediale Strategie zum Einsatz, die seit Urzeiten mit größter Wirkungskraft eingesetzt wird: das Erzählen einer Geschichte, die auf dem Handlungsschema der Heldenreise aufsetzt.
Das Paradigma der Heldenreise
In dem Buch YouTube – Spaß und Erfolg mit Online-Videos bemerken Christoph Krachten und Caroling Hengholt, dass der Einsatz von Storytelling mit »Malen nach Zahlen« (S. 78) vergleichbar ist. Dieser etwas despektierliche Vergleich meint die Orientierung am immer gleichen Ablaufmuster der Heldenreise.
Der Begriff Heldenreise geht zurück auf den amerikanischen Mythenforscher Joseph Campbell. In seinem Buch Der Heros der 1000 Gestalten hat er herausgearbeitet, dass alle bedeutenden Geschichten, die sich die Menschen seit Urzeiten erzählen, auf das Paradigma der Heldenreise zurückgehen.
Dessen Grundstruktur ist einfach: Exposition — Konflikt — Schluss. Dabei ist der Konfliktteil meistens dreigeteilt: 1. Wendepunkt (Auslösung des Konflikts) — Klimax (Höhepunkt der Handlung) — 2. Wendepunkt (entscheidende Prüfung).
Dieses 5 Akt-Schema stellt die gängigste Strukturierung dar, ist aber kein Dogma. Es gibt auch komplexere Ablaufvarianten, bis hin zu 12, 15 oder noch mehr Segmentierungen. Das ist bei der Kürze der Zeit, die für ein webtypisches Video zur Verfügung steht, allerdings kaum realisierbar. Tendenziell wird hier eher der Mittelteil auf einen Akt reduziert.
Standard-Ablauf einer Heldenreise
Die Exposition besteht aus einem Setting, in dem der Mikrokosmos, in dessen Rahmen die Story situiert ist, mit seinem Wer-Was-Wo-Wann-Warum definiert wird. In diese Welt tritt eine Ereignis, durch das das Leben der Heldenfigur aus seinem Rhythmus gebracht wird und eine konflikthafte Situation heraufbeschwört.
Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass der Storyteller diese Initialzündung derart fesselnd gestaltet, dass das webtypische Verlangen nach Instant Gratification (die sofortige Belohnung für erteilte Aufmerksamkeit) erfüllt wird. Das Initial Event muss beim Rezipienten einen emotionalen Kick auslösen, indem er eine Verbindung zwischen sich und dem Helden herstellt.
Die Konflikt-Austragung besteht aus den Prüfungen und Kämpfen, die der aus seiner gewohnten Welt geworfene Held in der Folge zu bestehen hat. Dabei kommt meist eine Gegenfigur zum Helden (der Antagonist) ins Spiel, als Vertreter dunkler Kräfte und übler Bedrohungen. Optional ist ein Mentor, der dem Protagonisten bei seinen Kämpfen mit Rat und Tat zur Seite steht.
Der Schluss der meisten Web-Content-Storys besteht aus einem Happyend: die Konfliftlage des Helden findet eine glückliche Lösung. Mit dem optimistisch gestimmten Schlussakkord geht eine grundlegende Erfahrung einher: der Held erfährt eine persönliche Bereicherung und Fortentwicklung. Das kann bis hin zu einem Bewusstseinswandel gehen.
An dieser Standard-Dramaturgie und ihren Abwandlungen hat sich zu Zeiten des überbordenden Konsums von Web-Content nichts geändert. Erzählungen von Heldenreisen haben sich, als Teil der DNA, in unser aller Bewusstsein eingeprägt: ihr Muster spricht urzeitliche, archaische Aspekte des menschlichen Selbst an.
Storytelling aus der Sicht der Wissenschaft
Die Wirkungskraft von Geschichten, die auf dem Paradigma der Heldenreise beruhen, ist wissenschaftlich erwiesen. Im Rahmen von Marketing werden ihre Effekte instrumentalisiert, um beim Rezipienten Botschaften mit Tiefenwirkung zu verankern.
Marketing bezieht viele Ideenimpulse aus der Persuasionsforschung (Persuasion = Überzeugung). Etwas salopp ausgedrückt könnte man diesen Zweig der Psychologie als Wissenschaft von der Manipulativität bezeichnen. Sie hat herausgearbeitet, dass Sachinformationen sich viel besser auf emotionalem Wege als auf rationale Weise vermitteln lassen. Die ideale Methode zur Umsetzung dieser Erkenntnis ist Storytelling.
Die Neurowissenschaft untermauert dies: packende Storys lösen Hormonausschüttungen aus. Das lymbische System der Rezipienten wird mit Oxytocin geflutet, dem Hormon, auf dem auch Verliebtheiten beruhen. Der Effekt: die Emotionalität in einer Story überträgt sich auf all die, die sich von ihr angesprochen fühlen.
Jede Story trifft auf eine vorgeprägte neuronale Infrastruktur. Die narrative Psychologie hat nachgewiesen, dass die uralten Story-Muster in tieferen Bewusstseinsschichten bereits bekannt sind. Menschen können mit dem am besten umgehen, das sie schon kennen. Content als Projektionsfläche von Bekanntem führt daher auf Bahnen, auf denen der Transport von Botschaften wie von selbst läuft.
Storytelling im Web-Content
Mit den neuen Medien und der Tatsache, dass Marken zu Medien werden, hat die Kunst des Storytelling einen fulminanten Aufschwung erlebt. Voraussetzung dafür ist, dass das Storytelling der Mentalität des typischen Web-Users angepasst ist. Die Mini-Formate haben die Rezipienten an eine immer größere Erlebnisvielfalt gewöhnt und ihn damit immer anspruchsvoller gemacht.
Packender Web-Content erfordert, dass Geschichten auf komprimiertem Raum erzählt werden müssen. Daher hat das Initial Event nur ein ganz kleines Zeitfenster für die Instant Gratification. Eine Story, die den Konsumenten nicht innerhalb der ersten Sekunden in sich hineinzuziehen vermag, wird gnadenlos weggeklickt.
Protagonisten, Handlung und Symbolik einer Heldenreise sind auf die Vermittlung der Botschaften zuzuschneiden, die der Community-Betreiber seinen Kunden subkutan vermitteln will. Besonders wirkungsvoll sind daher Handlungsorte und Konfliktsituationen, in die der Story-Konsument selbst geraten könnte oder die er vielleicht schon erlebt hat.
Im Überstehen aller Gefahren werden die Erfahrungen und Emotionen mit dem Produkt oder der Marke gezeigt, auf welche die Story bezogen ist. Die darin transportierten Botschaften sind nahezu immer positiver Natur. Damit wird dem Publikumsgeschmack Rechnung getragen: die meisten Story-Konsumenten bevorzugen einen optimistisch-lebensbejahenden Ausklang, am besten mit einem Gänsehauteffekt oder einer humorvollen Pointe.
Das Produkt selbst muss dabei nicht unbedingt selbst Teil der Szenerie sein. Die Verbindung lässt sich auch auf symbolisch-metaphorischem Wege herstellen. Hauptsache ist, es findet eine Begehrlichkeiten weckende Projektion statt.
Konsistenz: Serienformate
Bei jeder Verankerung von Botschaften, die durch eine zündende Story erzielt wird, stellt sich die Frage, wie lange sie andauert. Die mediale Überfütterung der Konsumenten gibt in dieser Hinsicht einigen Anlass zum Pessimismus. Die Lösung für das Problem der Story-Nachhaltigkeit kann ein Serienformat sein.
Die User schätzen es, wenn sie sich bei einer Story nicht lange eindenken müssen. Kognitive Leichtigkeit ist bei Web-Content immer ein Thema. Sie wird durch eine Darbietungsweise begünstigt, die auf bekannten Elementen basiert und damit die immer gleichen Botschaften in immer neuen Variationen und Facetten transportiert.
Testimonials
Die besten Geschichten schreibt oft das Leben selbst. Storys bestehen nicht zwangsläufig aus Erfundenem. Einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit erzielen Storys, in denen Kunden von ihren Erfahrungen und Erlebnissen mit einem Produkt oder einer Dienstleistung berichten. Ebenso wirkmächtig können Mitarbeiter des Betreibers sein, die ‚durch die verschlossene Türe’ plaudern.
Wird ein realer Kunde zur Heldenfigur gemacht, nennt man dies Liquid Storytelling. Das, was er zu erzählen hat, sollte in realistischer Manier auf seinen Bedürfnissen basieren. Lebensechte Grundierung schafft eine Aura von Authentizität. Das hat zwar selten die Dramatik einer Heldenreise, aber es lassen sich meist doch einige ihrer Elemente wirkungssteigernd unterbringen.
Liquid Storytelling besteht vorzugsweise aus sogenannten Testimonials. Das sind Erfahrungsberichte oder Fallbeispiele, die aus dem Leben gegriffen sind. Die Helden sind dabei meist Kunden, die eine Art Erfolgsgeschichte mit dem Produkt erzählen, was häufig einen reportagehaften Charakter hat.
Diese Erfahrungsberichte dürfen ruhig kleinere Schwächen eines Produkts oder Unternehmens offenbaren — die Tatsache, dass die Schwächen ehrlich kommuniziert werden, macht es leicht, darüber hinwegzusehen.
Storytelling und Community Management
Für den Community Manager bedeutet die dominierende Stellung der Marketing-Technik Storytelling, dass ein Wissen darüber zu seiner Allgemeinbildung gehört. Auch wenn ihm der Content von einem eigenständigen Content Management zugeliefert wird, sollte er plausibel beurteilen können, ob das darin enthaltene Storytelling bei seinen Usern Begeisterung erwecken kann.
Der Königsweg ist, wenn der Community Manager selbst für seinen Content verantwortlich zeichnet. In gewisser Hinsicht erscheint dies sogar logisch: er weiß am besten, wie seine Community tickt, und von daher sollte er den Content geradezu maßschneidern können.
Voraussetzung dafür ist natürlich ein ausgeprägtes Talent für Storytelling — hat er das nicht, sollte er lieber die Finger davon lassen. Zudem kann er sich nur darauf einlassen, wenn ihm genügend Zeit zur Verfügung steht, ansonsten wird Überlastung zu einer Einschränkung seiner Kreativität führen.
Medienkanäle und Formate
Die meisten Community Manager werden zumindest in die Distribution von Content involviert sein. Bei der Wahl des Formats kann aus dem Vollen geschöpft werden. Ob das nun Bewegtbild-Inhalte, Fotos, Blogartikel, Lehrmaterialien oder Webinare sind, das bestimmen Zielgruppe und Plattform. Auch der Aspekt, ob Unterhaltungs- oder Informationsbedürfnisse bedient werden sollen, spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Generell aber lässt sich natürlich sagen, dass Video eine große Dominanz hat. Web-User sind Schaulustige, sie bevorzugen Bewegtbild-Inhalte. Was das bevorzugte Medium angeht, müsste Storytelling eigentlich Storyshowing heißen.
Diese als Visual Turn bezeichnete Entwicklung ist noch nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt. Laut einer Prognose des IT-Infrastruktur-Herstellers Cisco Systems werden 2021 etwa 80 % des Internet-Traffics aus Videos bestehen.
Idealerweise wird Storytelling im Web-Content nicht nur in Form von Videos dargeboten, sondern per crossmedialem Erzählen, sprich in Aufbereitung für mehrere Medienkanäle. Ausschlaggebend dabei ist es, die Stärken des jeweiligen Mediums zu akzentuieren, um bei allen Rezipienten mit seiner Wirkungsabsicht durchzudringen.
User Generated Content
Storytelling im Community Management ist kein One-Way-Ticket. Viele Prosumer wollen sich nicht auf die passive Rolle des Konsumierenden beschränken. Sie kanalisieren ihre Kreativität in eigener Story-Produktion, die sie in ihrer Community präsentieren wollen. Für Community Manager im Verbund mit den Marketers ist das dabei Zustandekommende ein ‚gefundenes Fressen’.
Dem Innovationsmanagement liefert dieser User Generated Content wertvolle Impulse. Hierin kommen — ebenso wie im Dialog — aktuelle Trends und Meinungsströmungen zum Vorschein. Der Community Manager hat dabei die Aufgabe, das Material, das ihm von den Usern aufgespielt wird, hinsichtlich der Relevanz für den Betreiber zu sondieren.
Die Überzeugungskraft von User Generated Content beruht darauf, dass ihm von vornherein Authentizität zugebilligt wird. Freiwillig artikulierte Überzeugtheit oder sogar Begeisterung für ein Produkt genießt höchstes Vertrauen. Solche Beiträge haben also sofort einen Glaubwürdigkeitsbonus. Dagegen werden die klassischen Werbemaßnahmen als erheblich unglaubwürdiger eingestuft.
Die Qualitätsfrage ist bei User Generated Content von nachrangiger Bedeutung. Es wird allgemein akzeptiert, dass er nicht von perfekter Professionalität sein kann. Im Gegenteil, es unterstützt die Glaubwürdigkeit, wenn er eine amateurhafte Anmutung hat.
Ausblick
Es ist anzunehmen, dass Storytelling im Rahmen des Community Managements eine noch größere Bedeutung erlangen wird. „Marken werden zu Medien“ — dieser Satz beschreibt die Zukunftsperspektiven des Digital Marketing. Die Strategien der Marketers werden nicht mehr nur Communitys als Medienkanal für packendes, wirkmächtiges Storytelling integrieren, sondern sie werden um Communitys herum konzipiert.
Das bedeutet: Communitys werden zu einem noch größeren Machtfaktor innerhalb der konsumistischen Infrastruktur. Damit wird eine gravierende Erhöhung des Stellenwerts von Community Management einhergehen.